Wir sitzen am Bosporus in Istanbul und trinken einen
letzten türkischen Kaffee. Die Sonne wärmt, die Füsse stecken in
Flipflops und weit weg wirken die letzten elf Monate, in denen es kein
anderes Schuhwerk als Wanderschuhe gab. Eben hat uns der Kellner
gefragt, ob wir aus Basel, Sion oder Xamax seien und sich dabei gleich
selbst verraten. Türken sind unverbesserliche Zocker. Sportwettbüros
stehen an jeder Ecke und man kann bis hinunter in die Schweizer
Regionalliga wetten. Da unterscheiden sie sich nicht gross von den
Zyprioten, den Griechen, Bulgaren und Montenegrinern. Selbst im
kleinsten Bergkaff gibt es ein Wettbüro, während wir oftmals vergebens
nach frischen Lebensmitteln Ausschau gehalten haben.
Zum Glück sind die
Menschen hilfsbereit, in Griechenland gaben uns alte Frauen mehrmals die
Hälfte ihres auch nicht mehr ganz frischen Brots ab, in der Türkei
teilten nette Bergbewohner ihr Gemüse mit uns, und in Montenegro luden
sie uns meist grad ganz zum Essen ein: Brot, selbstgemachten Käse und
montenegrinischen Kaffee.
Nur in Bulgarien haben wir nicht so gute
Erfahrungen gemacht. Unser Zelt wurde an einem idyllischen See in den
Bergen von Unbekannten mit einem Messer attackiert, und auf dem Markt
versuchte sogar der Wurstverkäufer, uns zu betrügen. So standen wir
trotz der beeindruckenden Berglandschaften immer ein bisschen auf
Kriegsfuss mit Bulgarien. Ganz schön unfair, wie zwei, drei schlechte
Erfahrungen gleich Vorurteile über ein ganzes Land entstehen lassen.
Zum Glück wurden wir ansonsten von grösseren
Unannehmlichkeiten verschont. Kein gebrochenes Bein, kein kaputtes Knie.
In Italien setzten uns die Mücken zu und in Griechenland die Flöhe, die
wir wahrscheinlich beim Olivenernten aufgelesen hatten. Entgegen der
Volksmeinung wird man die Viecher aber leicht wieder los, nur die Bisse
quälten uns einige Tage arg. Olivenbauer Stefanos pflegte uns mit Aloe
Vera aus seinem Garten und tröstete uns mit griechischem Kaffee.
Ja
genau, Kaffee ist in den hiesigen Gegenden national. Auch wenn das
Servierte immer gleich ist, ein starkes Gebräu in kleinen Tässchen mit
viel Zucker und viel Kaffeesatz, ändert sich die Bezeichnung von Land zu
Land. Je nachdem gibt es montenegrinischen, serbischen, griechischen
oder türkischen Kaffee. In Zypern wird gar auf der Nordseite türkischer
Kaffee getrunken, auf der Südseite zypriotischer. Auf die richtige
Bezeichnung sollte man penibel achten, um keine Gefühle zu verletzen
oder leicht eingeschnappt korrigiert zu werden.
Die Gemeinsamkeiten zwischen den Ländern sind
sowieso gross, nur werden aus politischen Gründen oftmals lieber die
Unterschiede betont. Da schwärzen die Bulgaren ihre griechischen
Nachbarn als laut und faul an, die Griechen warnen einen davor, in die
Türkei zu reisen, weil dort unzivilisierte Menschen leben würden, und
die Montenegriner finden die Kosovaren rückständig und barbarisch.
Dabei mögen die Menschen in diesen Ländern
ähnliche Musik, essen alle gerne Teigtaschen mit Käse oder Fleisch drin
(je nach Land Burek, Börek, Banitsa oder Pita genannt), nehmen
Trinkjoghurt dazu und spielen leidenschaftlich gerne Backgammon. Und das
liebste Hobby der Männer neben Sportwetten und Backgammon? Ist überall
das Jagen. Sogar die farbigen Patronenhülsen, die auf den entlegensten
Pfaden zu finden sind, entstammen derselben Fabrikation. Auch der Frust, nichts erlegt zu haben, äussert
sich in etwa gleich: Dann schiesst man halt auf
Wanderwegbeschilderungen, die trifft man wenigstens und nutzlos sind sie
obendrein. Denn auch darin sind sich alle einig: Wer käme schon auf die
wahnwitzige Idee, hier freiwillig zu Fuss und mit schwerem Rucksack
vorbeizuziehen?
(Erschienen in der Berner Zeitung vom 21. Mai 2012)